Forschungsergebnisse zu karrieresteuernden Werten

Auf diesen Seiten finden Sie Forschungsergebnisse zur karrieresteuernden Funktion von Werten und zu den Karriereankern, einem Typus von Werten, den Edgar Schein beschrieben hat. Diese Forschungsergebnisse habe ich in meinem Buch: 'Triadische Karriereberatung ‒ Die Begleitung von Professionals, Führungskräften und Selbständigen' 2008 erstmals vorgestellt.

Diesen Satz und diesen Menüpunkt zu den Forschungsergebnissen habe ich vor vielen Jahren geschrieben. Meine Forschungen zu Karrieren in den letzten Jahren haben neue Erkenntnisse gebracht, mein Beratungskonzept hat sich weiterentwickelt, meine Modelle von Karrieren haben sich ausdifferenziert und den Geltungsbereich der Modelle des von mir sehr geschätzten Edgar Schein habe ich näher bestimmen und eingrenzen können. Diesen Wandel beschreibt und dessen Ergebnisse präsentiert eine neue Website, die zu den Entdeckerkarrieren. 

Ich habe mich entschieden, in diesem Menüpunkt kleinere Veränderungen vorzunehmen, hier Links zur neuen Website einzufügen und damit die Ergebnisse zu meinen Forschungen über die Karriereanker in den Unterpunkten 'Die Karriereanker' und 'Wertetriaden', die richtig sind, lediglich zu reframen und ihren Geltungsbereich neu zu bestimmen.

Der Nutzen für Leser und Leserinnen

Für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die über Karriere forschen, bieten diese Seiten interessantes Datenmaterial und Forschungsergebnisse.

Für Interessierte, die ihre Karriereanker kennen, bieten die Interviews mit Fach- und Führungskräften Anregungen zur Selbstdiagose und -reflexion.

Berater und Beraterinnen, die mit den Karriereankern arbeiten wollen, können sich anhand von Originalaussagen ein anschauliches Bild der Ankerkombinationen machen, um sie bei den Ratsuchenden sicherer diagnostizieren zu können.

Für diejenigen, die Edgar Schein's Veröffentlichungen nicht kennen, sind diese Texte und Interviews vermutlich nicht ohne weiteres verständlich. Für sie eine kurze Einführung in das Konzept der Karriereanker.

Forschungsergebnisse zu Edgar Schein's Konzept der Karriereanker

Er definiert Anker als" 'das' Element im Selbstkonzept, das jemand keinesfalls aufzugeben gewillt ist." (Schein 1994). Karriereanker versteht er als eine Mischung aus Werten, Motiven und Fähigkeiten. Karriereanker sind bestens geeignet für die geordnete Erhebung von Informationen über die Werte, die handlungsleitend und orientierungsrelevant, aber meist nicht bewusst sind. Für die Erhebung von Fähigkeiten, Fertigkeiten, Stärken und Kompetenzen sind die Karriereanker wenig geeignet, geeignetere Verfahren sind z.B. die im Programm Profilentwicklung der Triadischen Karriereberatung® beschriebene Talenterhebung, die Erfolgsgeschichten nach Richard Bolles und andere.

Durch meine Forschung über die Karriereanker von Entdeckern bin auf die energetische Dimension der Anker gestoßen. M.E. sind es Triebkräfte, deren Entstehung sich aus verschiedenen Quellen speist, sicher aus Werten, aus Motiven, aus zur Persönlichkeit gehörenden Talenten, aus körperlichen und seelischen Voraussetzungen und aus relevanten biographischen Erlebnissen. Diese energetische Dimension fehlt bei Edgar Schein, er denkt eher strukturell. Mehr dazu finden Sie auf meiner Website Entdeckerkarrieren im Menüpunkt Persönlichkeit von Entdeckern!

Schein's Karriereanker setzen sich aus drei Faktoren zusammen, in der neuen Auflage von 2023 spricht er von 'Skills and Compentencies', 'Motives' and 'Values'. Prämierungen von Faktoren einer Triade wechseln im Laufe der Zeit, da ich die Metapher 'Anker' schwierig und eher unpassend fand, habe ich den Faktor Werte prämiert und spreche hier noch noch Werten und Wertetriaden. Werte sind auch ein Faktor der 'Triebkräfte von Karrieren', eine Bezeichnung, die ich als Oberbegriff verwende, unter die auch auch die Karriereanker fallen. 

Karrieresteuernd ist die Triade der drei wichtigsten Karriereanker, die Wertetriade

Scheins Modell ist kein triadisches, er hierarchisiert, denkt binär und unterschätzt damit die Fähigkeit von Beratern und Kunden zu Parallelverarbeitung und relationalem Denken.

"Sollten zwei oder mehrere Karriereanker auf Sie gleichermaßen zutreffen, so brauchen Sie sich lediglich zukünftige (hypothetische) berufliche Situationen vorstellen, die Sie zu einer Entscheidung -entweder-oder' zwingen würden, um so herauszufinden, was Sie tatsächlich tun würden." (Karriereanker 3. Aufl.1994, S. 86)

Mittlerweile wurden aus dem 'Bodenanker' ein 'Treibanker' und aus dem einen steuernden Anker ein „Pattern of Preferences“ einer nicht näher zu bestimmenden Anzahl von Ankern. Hinzugekommen sind bisher nicht zu den "Preferences" gehörende Karriereanker, die den „Growth Intentions“, also dem gewünschten Wachstum und den Veränderungen in der beruflichen Karriere Rechnung tragen (Schein, van Maanen, Schein: Career Anchors Reimagined, Wiley Hoboken New Jersey 2023). Schein bestätigt also meine These, dass man nicht mit einem einzigen Anker arbeiten kann. 

Zum Geltungsbereich und zur Kritik an Scheins Konzept lesen Sie hier mehr und folgen Sie diesem Link zur Entdeckerseite, wo Sie meine Einschätzung von Schein's Umorientierung und meiner Umorientierung von den Ankern zu den Triebkräften lesen können!

Der wesentliche Unterschied zwischen Scheins Konzept der Anker und der hier vorgestellten Analyse ist, dass Edgar Schein mit isolierten Ankern arbeitet, während in diesem Konzept Beziehungsanalyse betrieben wird, also die Relationen zwischen Werten bzw. Ankern untersucht werden. Diese Kritik trifft auch auf die in der Neuauflage vorgestellte Arbeit mit 'Patterns' von Karriereanker zu!
Wenn man das Neue Triadische Denken auf die Arbeit mit den Ankern anwendet, dann kommt man zu einer Anker- bzw. Wertetrias aus drei Faktoren, die in ihrem Zusammenspiel als emergentes Produkt eine personenspezifische Wertetriade schaffen. Die Wertetriade entsteht aus drei in Ankern repräsentierten oder anderen Werten, ihren wechselseitigen Beeinflussungen, den Spannungen, die sich zwischen ihnen bilden können und der spezifischen Ausprägung der einzelnen Anker, die aus der Kombination mit anderen entsteht. Die Wertetriade ist ein Schritt in Richtung einer differentiellen Karrieretheorie. Von Bedeutung scheinen auch die letzten drei Anker, die sogn. Schattenanker, die einen auf keinen Fall -warum auch immer- steuern sollen, zu sein. Ein differentielles Bild der karriereleitenden Werte ergibt sich erst aus dem Zusammenwirken der drei ersten und letzten Anker.

Eine quantitative Studie zur Validität des Fragebogens von Schein's Karriereanker bestätigt meine qualitativ erhobenen Ergebnisse. Die Anker sind demnach nicht trennscharf, sondern aufeinander bezogen und die ersten drei Anker heben sich von den folgenden ab. "Finally, multiple Anchors may indicate a more complex value set oder may be partly due to the intercorrelated structure of Schein's Career Anchor."
Die Autoren kommen außerdem zu dem Ergebnis, dass es signifikante Häufigkeiten bestimmter Ankerkombinationen gibt.
Lea Brindle and John Whapham: To weight oder not weight? Interpreting Schein's Career Anchors questionnaire. In: Selection and Developement Review Vol. 19. No3, Juni 2003, S. 7

Der Geltungsbereich des Modells der Karriereanker

Edgar Schein bestimmt den seines Modells nicht. Das untersuchte Sample war professionshomogen, es bestand aus Managern. Untersucht man andere Gruppen, kann man einige dieser  Karriereanker finden und andere Triebkräfte, die in Schein's Sample nicht vorkommen können, da er Karrieren untersucht hat, die zum organisationsbezogenen Typus gehören und erst mit dem Studium und dem Eintritt in die Arbeitswelt beginnen. Die individuumzentrierten Entdecker- und Künstlerkarrieren jedoch beginnen mit 5 oder 6 Jahren. 

Es ist nicht ungewöhnlich, das man den Geltungsbereich von Modellen oder Konzepten nicht gleich bestimmen kann und erst weitere Forschungen dazu führen, dass dies möglich ist. Das ist sowohl bei Edgar Schein als auch bei mir der Fall. Erst durch weitere Forschungs- , Lehr- und Beratungspraxis gelang es, zwischen organisationsbezogenen und individuumzentrierten Karrieren zu unterscheiden, eine Typologie von Karrieren  zu entwickeln und weitere Modelle zu bilden.

Auch sein Modell von Karrieren und deren Phasen gilt nur für organisationsbezogene Karrieren, nicht für Karrieren, die 'jenseits von Laufbahn und Beruf' sind. Meine neuesten Forschungen haben ergeben, dass man drei Typen von Karrieren unterscheiden kann:

1.Die organisationsbezogenen Karrieren, die sich an Laufbahnen in Organisationen (Institutionen, Unternehmen, staatlichen und privaten Einrichtungen etc.) und Werdegängen in Berufen und Professionen orientieren.

2. Die individuumzentrierten Karrieren, die die Individuum durch die autonome Setzung von Sinn ihres Arbeitens und Lebens, der aus ihrer Persönlichkeit und Lebensgeschichte entspringt, selbst steuern. Hier steht die  Persönlichkeit und nicht Organisationen im Mittelpunkt.

3. Die hybriden Karrieren, die sowohl durch Sinnsetzungen der Individuen als auch durch Organisationen und den Markt gesteuert werden.

Scheins Karriereanker sind für den Typus der organisationsbezogenen Karrieren entwickelt worden. Entdecker und Künstler haben andere Triebkräfte ihrer Karriere, von Ankern rede ich in diesem Fall nicht mehr.    

Wenn Sie mehr zu den drei Typen lesen wollen und welche der heute üblichen Bezeichnungen von Karrieren zu welchem Typus gehören, dann lesen Sie auf der Website Entdeckerkarrieren im Menüpunkt Karrieren und Karriereanker weiter.

Die Triebkraft Entdecken

Ich habe eine Triebkraft, die mehrfach in Interviews oder Beratungen mit Wissenschaftlern und Ingenieuren aufgetaucht ist, und sich nicht auf die Totale Herausforderung zurückführen lässt, entdeckt. Sie ist für die von Schein untersuchte Population der MBA-Absolventen nicht typisch, sondern für Wissenschaftler, Ingenieure, Erfinder und andere Entdecker wie manche Künstler oder Entdecker von unbekannten Welten.
Neben Wissenschaftlerkarrieren habe ich die von Pablo Picasso, anderen Künstlern und die Karriere von Reinhold Messner untersucht.
Es gibt Merkmale , die auf alle diese so scheinbar unterschiedlichen Karrieren zutreffen, die dem Typus der individuumzentrierten angehören 'jenseits von Laufbahn und Beruf' und einen disruptiven Verlauf aufweisen.
Die Beschreibung dieser Triebkräfte Kunst machen zu müssen und Entdeckern zu müssen sowie die Fallstudien zu Karrieren bekannter Entdeckerinnen und Entdecker, in denen sie sich zeigen, finden Sie auf meiner neuen Website www.entdeckerkarrieren.com
 
Es geht ihnen um das Erkunden und Erforschen von unbekannten Gebieten, um unerforschte Phänomene, um das Infragestellen herrschender Annahmen und Lösungen. Ein Zitat von Einstein: "Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig". Die Unmöglichkeit der Aufgabe, das Risiko, der ungewisse Ausgang, das Besiegen anderer, die für den Anker Totale Herausforderung charakteristisch sind, machen nicht den Reiz des Entdeckens aus. Wichtig ist das Erlebnis der Entdeckung, das nach Aussagen von Interviewten Flow-Erlebnissen, "einem Zustand der Schwerelosigkeit" entspricht. "Man verschwindet mit seinen Strebungen, man verschmilzt mit dem Entdeckten." Es gilt, Chaos, Zerfall von Sicherheiten, Angst, Unordnung in den Gedanken und auch Erschöpfung durchzuhalten. Die Entdecker kommen in der Professional Community häufig in Außenseiterpositionen, werden ausgegrenzt, nicht gefördert, weil sie meist ketzerische Gedanken äußern, die den Lehrmeinungen widersprechen. Andererseits braucht es Harmonie, Einswerden mit dem zu Entdeckenden, Loslassen und die Einstellung, nichts mehr zu wollen. Auch in Organisationen können sich die meisten von ihnen nicht bewegen und diese wiederum lehnen diese eigensinnigen, nicht führbaren und die Regeln nicht achtenden Menschen ab. Also verlaufen ihre Karrieren in den meisten Fällen 'jenseits von Laufbahn und Beruf'.

Hier ein paar Zitate aus den Interviews mit Entdeckern: 

Ein Zitat aus einem Interview mit einem Wissenschaftler: "Gute Entdecker müssen im Einklang mit dem sein / worauf sich die Entdeckung bezieht / Kolumbus war im Einklang mit dem Wind dem Klima / er ist mitgeschwommen / er wollte nicht Amerika entdecken / er wollte den Seeweg nach Indien über den Atlantik entdecken / sie müssen das lieben was sie entdecken und finden wollen / Freud hatte eine liebevolle Beziehung zu seinen Patienten / sie sind Spiegel der Dynamik um sie herum / müssen davon affiziert werden / Luther selbst wollte die Destruktion nicht zu weit treiben / er fühlte sich im Einklang mit den Kirchenvätern / die Balance zwischen Destruktion und Harmonie muss stimmen."

Ein Wissenschaftler, der diesen Karriereanker m.E. hat, ist der 2014 mit dem Nobelpreis für biophysikalische Chemie geehrte Göttinger Physiker Prof. Dr. Dr. Stefan Hell. Meine Analyse der Interviews, die er anlässlich der Preisverleihung gegeben hat, bestätigt, dass er sehr früh ein physikalisches Problem zu seinem machte, von dem er annahm, dass es nicht in den Grenzen der Physik zu lösen sei. Er wurde vom Hochschulsystem nicht gefördert, arbeitete nach der Promotion wie er sagt "als freier Erfinder", seine Idee und sein erstes Patent förderten seine Großeltern. Ihn interessierte Grundlagenforschung, wovon ihm abgeraten wurde, falls er Karriere machen wolle. Er migrierte nach Turku, einer für Physiker nicht wirklich bedeutenden Hochschule, wo er drei Jahre frei an seiner Theorie weiterarbeiten konnte und wo ihm die Idee für ihre Umsetzung kommt. Die Max Plank Gesellschaft "geht das Risiko ein", ihm auf einer befristeten Stelle die Chance zu geben, seine Idee umzusetzen. Er geht nach Göttingen, bleibt am Max Plank Institut, "weil er dort am besten arbeiten könne" und lehnt die zahlreichen karrieretechnisch gesehen eigentlich unabweisbaren Rufe an andere Universitäten ab.

Der Wille Grenzen zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen zu überschreiten, der Glaube an seine Idee, die ein 120 Jahre altes physikalisches Gesetz, das tatsächlich auf einem Gedenkstein für seinen Entdecker Ernst Abbe in Stein gemeißelt war, umstieß, und deren Anwendung bei der Konstruktion eines für Nanomikroskopie funktionierendes Lichtmikroskops gelang, brachten ihm den Nobelpreis ein. Sein enormes Durchhaltevermögen und der Wille, nicht nur etwas für die Wissenschaft, sondern für alle zu schaffen, prägen diese Entdeckerbiographie. (Vgl. Website der Max-Planck-Gesellschaft am 8.10.2014)

Dies trifft auch auf Humboldt zu: Einer unserer größten Entdecker und Naturforscher, Alexander von Humboldt schreibt weit vor seiner Amerikaexpedition an einen Freund: "Es ist ein Treiben in mir, dass ich oft denke, ich verliere mein bisschen Verstand. Und doch ist dies Treiben notwendig, um rastlos nach guten Zwecken hinzuwirken!" 23.9.1790 Das Treiben bewirkt die Triebkraft des Entdecken-Wollens, ein schönes Beispiel dafür!

von Humboldt, Alexander 2009: Es ist ein Treiben in mir- Entdeckungen und Einsichten. Hrsg. Von Frank Holl. München, Deutscher Taschenbuch Verlag Hamburg (2009, S.9)

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